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Falter: Der Kirchenbeitrag zum Teufelswerk

Der Exorzismus feiert in der katholischen Kirche eine Wiederauferstehung. Psychisch Kranke müssen darunter leiden

Am Ende war es zu viel des Hokuspokus. Mitte vergangener Woche setzte der Linzer Bischof Ludwig Schwarz den Pfarrer der oberösterreichischen Gemeinde Kopfing, Andreas Skoblicki, ab. Der aus Polen stammende Geistliche, bei dessen Messen es laut seinen Anhängern zu Weinkrämpfen und Christus-Erscheinungen gekommen war, hatte ungetauften Nachwuchs als „Kinder der Sünde“ verdammt und soll die örtliche Schule als „Teufelswerk“ und ihre Lehrer als „vom Satan besessen“ bezeichnet haben.

Luzifer hinter dem Katheder? Der Leibhaftige in Kopfing im Innkreis? Was auf den ersten Blick wie eine Provinzposse um die Schrullen eines Geistlichen wirkt, passt bei näherem Hinsehen als Mosaikstein in ein aktuelles Sittenbild des Reichs Gottes. Bei den Katholiken ist der Teufel los, und daran glauben müssen oft ausgerechnet die Schwächsten der Schwachen unserer Gesellschaft: psychisch kranke Menschen, die von der Kirche bezichtigt werden, vom Satan besessen zu sein.

„Es ist tatsächlich so, dass das Böse existiert, dass Menschen – auch in Österreich – durch (personifizierte) Kräfte des Bösen zum Teil existenzielle Bedrängungen erfahren, die nicht allesamt falsch interpretierte psychische Erkrankungen sind, sondern eben manchmal etwas anderes“, ließ der St. Pöltner Diözesanbischof Klaus Küng die Öffentlichkeit im April dieses Jahres wissen. Was Küng mit „etwas anderem“ meint? Nichts weniger als den Beelzebub.

Wer glaubt, das Gerede vom „personifizierten Bösen“ sei auf den Horizont geistlicher Würdenträger beschränkt, der irrt. Im Jahr 2007 fand in Graz der vom Psychiater und Opus-Dei-Mitglied Raphael Bonelli organisierte Kongress „Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie“ statt, der bereits im Vorfeld für einen Skandal sorgte, weil der nach Kritik wieder ausgeladene Mannheimer Verhaltenstherapeut Christof Wagner angeblich über die Heilung von Homosexuellen referieren wollte. Tatsächlich wurde dann auf der Veranstaltung diskutiert, ob es eine „Besessenheit jenseits der Psychose“ gebe. Die Organisatoren eines der Workshops beantworteten diese Frage mit Ja, was keiner großen Erwähnung wert wäre, würde es sich bei einem der Seminarleiter nicht um Andreas Masching, Oberarzt an der Neuropsychiatrischen Station im Sozialmedizinischen Zentrum Ost (SMZ-Ost), dem zweitgrößten Krankenhaus Wiens handeln.

Masching leitete den „Besessen- heits“-Workshop gemeinsam mit Larry Hogan. Hogan ist nicht nur eng mit dem Wiener Erzbischof Christoph Schönborn befreundet, sondern steht als Rektor dem Internationalen Theologischen Institut, einer katholischen Privatuniversität in Trumau, vor und ist seit 2001 ganz offiziell der Exorzist der Diözese Wien.

Auf der Internetseite des Grazer Kongresses geben Masching und Hogan an, sie würden bei gewissen Patienten zusammenarbeiten, in ihrem Workshop würden einige Fälle „vorgestellt“ werden. Die Kooperation sei notwendig, heißt es weiter, denn „nicht alle Phänomene, die Patienten schildern, sind Symptome einer psychotischen Störung. (…) Wenn man dagegen die Berichte in den Evangelien und Lehre der Kirche hernimmt, so können diese Symptome als dämonische Angriffe auf einzelne Menschen erkannt werden.“ Weder Masching noch Hogan waren für den Falter zu erreichen. Der erste ist krank, der zweite spricht nicht mit den Medien.

Trotz des Schweigens stellt sich die Frage: Wird mit Patienten eines öffentlichen Wiener Krankenhauses Exorzismus betrieben? Die Presseabteilung des Spitals hat von Maschings Interesse für Teufelsaustreibung bislang noch nichts gehört. Man sei zum ersten Mal mit diesem Vorwurf konfrontiert, antwortete das SMZ-Ost auf eine Falter-Anfrage.

Eine andere Geschichte, die sich auf Maschings Station ereignet haben soll, handelt von der ehemaligen Besitzerin einer Abtreibungsklinik im zweiten Wiener Bezirk. Nachdem sogenannte „Lebensschützer“, katholische Fundamentalisten, die vor Abtreibungskliniken protestieren, der Frau über Jahre nachgestellt hatten, erkrankte sie psychisch und wurde ins SMZ-Ost in Maschings Station eingeliefert. Kurze Zeit später tauchten an ihrem Krankenbett zwei Lebensschützer auf, um sie, mit Rosenkränzen bewaffnet, eine „Massenmörderin“ zu heißen.

Fundamentalisten am Krankenbett von Psychiatriepatienten in öffentlichen Krankenhäusern? Ein Oberarzt und Psychiater, der seine Patienten gemeinsam mit einem Exorzisten behandelt? Pfarrer, die Lehrer der „Besessenheit“ bezichtigen?

Das waren nicht die Pläne der Reformer auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das von 1962 bis 1965 in Rom stattfand. Progressive Kirchenmänner bemühten sich damals, archaische Dogmen aus der Zeit vor der Aufklärung auszusortieren. Das führte zumindest auf dem Papier zur fast gänzlichen Abschaffung der Teufelsaustreiberei. Der gefallene Engel Luzifer, so wollten es die der Zukunft zugewandten Geister, sollte die Menschen nur noch im Jenseits martern.

Heute, 40 Jahre später, kann davon keine Rede mehr sein. Hinter Kirchen- und Klostermauern erlebt der Exorzismus eine Wiederauferstehung. Auf Anweisung von Joseph Ratzinger alias Papst Benedikt XVI. soll bald jede Diözese ihren eigenen Teufelsaustreiber haben, der auf persönliches Geheiß des Bischofs ernannt werden muss. Willkommen in der katholischen Gegenwart.

Die Kirche unterscheidet grob zwischen zwei Arten von Exorzismus. Während zum Beispiel die Taufe eine einfache Teufelsaustreibung darstellt, bei der der Täufling von der Erbsünde befreit wird, kommt der große Exorzismus bei psychischen Problemen zum Einsatz, die durch Beten nicht mehr gelöst werden können.

Das Ritual zur Vertreibung des Bösen kann sich über Jahre ziehen und beinhaltet Gebete und Gottesanrufungen, wobei es – wie 1976 beim Fall Anneliese Michel in Deutschland oder vor vier Jahren bei einer Nonne in Rumänien – vorkommt, dass psychisch schwer Kranke unter der Obhut von Exorzisten sterben, weil ihr Zustand von den Geistlichen falsch beurteilt wird. Aus der Diözese Wien heißt es, in Österreich betreibe man Exorzismen daher nur in Absprache mit Schulmedizinern.

Die Bekämpfung Luzifers als das personifizierte Böse ist jedoch kein vorgestriger Firlefanz, sie folgt der Marktlogik. Die Katholiken schließen damit zu einer Bewegung auf, die aus den USA kommt und dem Christentum mit einer Mischung aus Esoterik, Mystizismus und Okkultismus zu mehr Popularität und vollen Gotteshäusern verhelfen soll. Der Erfolg gibt der Kirche Recht: In Österreichs Diözesen wird erzählt, man könne sich der Nachfrage nach Exorzismen kaum erwehren.

„Salopp gesprochen ist es eben einfacher und entspricht eher unserem Zeitgeist, sich einmal schnell den Teufel austreiben zu lassen, anstatt sich einer langwierigen und kostspieligen Therapie zu unterziehen“, sagt ein Mitarbeiter der Diözese Wien, der nicht mit seinem Namen in der Zeitung stehen will.

Exorzismus ist eine Tabusache in Österreich: „Da das Thema aufgrund der Medien sehr delikat ist, erscheint keine Liste der Beauftragten im Jahrbuch oder in anderen Publikationen einer Diözese. Man muss im Bischöflichen Ordinariat anrufen. Aus demselben Grund ist ‚Beauftragter‘ dem Wort ‚Exorzist‘ vorzuziehen“, heißt es in einem dem Falter vorliegenden Papier, das vom Chef-Exorzisten der Diözese Wien, Hogan, verfasst wurde. Nach eigenen Angaben betreibt Hogan an die 50 Teufelsaustreibungen pro Jahr.

Exorzismus ist kein harmloser Schnickschnack, sondern führt laut Kritikern dazu, dass psychisch belastete oder kranke Menschen doppelt stigmatisiert werden. Dem Falter liegen Schilderungen von Personen vor, die berichten, sie seien im tiefkatholischen Milieu aufgewachsen und in ihrer Kindheit von Familienangehörigen sexuell missbraucht worden. Als es in ihrer Pubertät zu Problemen gekommen sei, hätten ihnen Verwandte und auch Priester attestiert, vom Teufel besessen zu sein.

Konservative Katholiken benutzen die Renaissance des Satans auch dazu, ihren Feinden Besessenheit zu unterstellen, wie es der Fall des Kopfinger Priesters Skoblicki zeigt. Oder ein Fall aus den USA, wo im Sommer 2009 der Abtreibungsarzt George Tiller am Sonntagvormittag vor der Kirche seiner Gemeinde von einem religiösen Eiferer erschossen worden ist.

Im Vatikan hingegen freut man sich über die neue Bedeutung des Satans. Des Papstes Chef-Exorzist Gabriele Amorth sagte im Gespräch mit einer deutschen Zeitung, der Teufel sei von der Kirche über Jahre ignoriert worden, was ihn sehr stark gemacht habe. Heute sei das zum Glück anders, insinuiert Amorth und zitiert die von ihm ausgetriebenen Teufel mit den Worten, Johannes Paul II. habe dem Satan großen Schaden zugefügt, der deutsche Papst sei aber noch viel schlimmer. „Wenn wir Exorzisten seinen Namen benutzen, schreit der Teufel laut auf“, sagt Amorth, „mit Ratzinger sind wir endlich wieder in den besten Händen.“

Falter 39/2011 vom 28.9.2011
Autor Wolfgang Zwander